INSPEKTION #1: Was ist ein Podcast ohne Fans?
Willkommen in meiner Werkstatt! Zusammen schauen wir unter die Motorhaube von drei Podcasts mit krasser Fanbase: »Drinnies«, »Gästeliste Geisterbahn« und »Hazel Thomas Hörerlebnis«.
Die erste INSPEKTION steht an! Es geht um das Thema Community, denn ohne funktioniert ein Podcast nicht. Die Konkurrenz wird immer größer – da braucht ihr Hörer*innen, die sich jede Woche aufs Neue für euren Podcast entscheiden.
Aber wie kriegt man das hin? Dafür habe ich ein paar Podcasts inspiziert, um die sich auf unterschiedliche Weise eine Fanbase aufgebaut haben.
Meine Kriterien:
1. Ich glaube, von ihnen kann man was lernen.
2. Ich höre sie mindestens regelmäßig.
Laut Definition ist eine Community etwas, bei dem die Mitglieder untereinander kommunizieren, wie z.B. in einem Forum. Aber bei einem Podcast ist es schon schwer genug, die Beziehung zwischen Host und Hörer*innen aufzubauen. Wahrscheinlich passt Fanbase besser. Ich hoffe, ihr nehmt es mir nicht übel, dass ich die ganzen Begriffe als Synonyme verwende. Ihr wisst ja, was ich meine: Leute, die euren Podcast einfach lieben.
»DRINNIES« mit Giulia Becker und Chris Sommer
Die »DRINNIES« haben schon allein mit ihrem Podcast-Namen alles richtig gemacht. Wer – wie ich – am liebsten zu Hause ist, fühlt sich direkt angesprochen: Ich bin ein Drinnie! Das schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit. Und irgendwo dazu gehören ist doch das, was wir uns in unserem tiefsten Inneren alle wünschen. Giulia und Chris sind relatable, man kann sich super mit ihnen identifizieren, wenn sie von ihren Struggles im Alltag sprechen. Als introvertierte Person denkt man die ganze Zeit: »Ey, mir geht’s genauso!« oder »Ich dachte immer, ich bin allein damit!« Beim Podcasting ist relatability super wichtig.
Bei einer Online-Konferenz, an der ich diese Woche teilgenommen hab, hat Michael Otto, ein Werbetexter, der dort einen Vortrag gehalten hat, sowas gesagt wie: Wenn man ein mulmiges Gefühl hat, bevor man einen Text veröffentlicht, ist das wahrscheinlich ein Indikator dafür, dass er Emotionen wecken wird. Weil man sich verletzlich macht. Ein Gefühl, dass ich bei jeder Folge meines Podcasts hab – das ich aber schon seit Jahren kenne. Als ich damals in der Online-Redaktion von NEON gearbeitet hab, bekam ich das schönste Feedback immer zu Artikeln, die mich Überwindung gekostet haben, weil ich mich verletzlich gemacht hab. Ihr müsst nicht privat werden, aber persönlich! Die Hörer*innen wollen euch kennenlernen.
Social Media spielt beim Community Building eine große Rolle, schließlich können die Hörer*innen in der Podcast-App nicht kommentieren. Das verlagert sich auf Instagram, TikTok und Co.
Es gibt zwar keinen offiziellen Instagram-Account zum Podcast, aber eine von Fans geführte Meme-Seite und einen Fan-Account, der die von Giulia und Chris vorgestellten Snacks in ihrer Podcast-Rubrik »Snack der Woche« sammelt. Wer es schafft, dass sich fremde Menschen so eine Mühe geben, hat Podcasting durchgespielt – egal, ob es 1000, 10.000 oder 100.000 Hörer*innen sind.
Der Vorteil von einem Extra-Account auf Social Media ist, dass man einzelne Zielgruppen besser erreichen kann. Giulia und Chris posten beide regelmäßig zu ihrem Podcast auf ihren persönlichen Accounts. Dadurch haben sie eine große Reichweite. Allerdings kann es sein, dass den beiden viele Leute folgen, die kein Interesse an dem Podcast haben. Die sind dann vielleicht genervt und entfolgen im schlimmsten Fall. (Seien wir ehrlich, wer die beiden mag, mag auch den Podcast. Aber den Luxus hat ja nicht jede*r.)
Auch ein großes Ding – und das kennen wir schon aus der Musik: Merchandising! Im Sommer war mein Feed voll mit »Drinnies«-Caps (ich folge anscheinend vielen Introverts, haha). Die beiden bieten aber auch andere Produkte an, zum Beispiel den »DEDRIGA«-Sticker. Das steht für »Deutscher Verband der Drinnie-Gastfreundschaft«. Wer eine »Drinniefreundliche Türpolitik« in seinem Geschäft, Salon oder Zuhause bietet, kann sich mit dem Sticker erkenntlich zeigen. (»Drinniefreundlich« bedeutet z.B. Online-Terminvergabe, Beratung nur auf Nachfrage, kein Smalltalk.) Und wenn man Instagram glauben darf, kleben die Sticker mittlerweile an ganz schön vielen Türen. (Im Shop sind sie jedenfalls ausverkauft.)
Podcast-Caps, -Socken und -Taschen sind auf dem besten Weg die neuen Band-Shirts zu werden. Statt sich mit der Wahl der Accessoires als Swiftie oder Belieber zu outen, trägt man heute mit Stolz Insider-Scherze oder Logos vom Lieblings-Podcast zur Schau. »Ich bin ein Hacki!« (von »Gemischtes Hack«) oder »Ich bin eine Kaulquappe!« (von »Kaulitz Hills«) oder eben »Ich bin ein Drinnie!« Generell gute Idee, der Fanbase einen Namen zu geben.
»Gästeliste Geisterbahn« mit Nilz Bokelberg, Markus »Herm« Herrmann und Donnie O’Sullivan
»Gästeliste Geisterbahn« gibt es seit acht (!) Jahren und gehört wohl zu den ersten großen Podcasts, die es in Deutschland gab. Nilz Bokelberg, Markus »Herm« Herrmann und Donnie O’Sullivan haben eine eingeschworene Fangemeinde – und das obwohl der Podcast nicht ständig in den Top 100 vertreten ist. Eins von vielen Beispielen, die zeigen, dass die Charts nicht immer aussagekräftig sind, wie stark die Community ist.
Das Besondere: Jede zweite Folge ist ein »Gästelistchen Geisterbähnchen«, eine Folge, in der Fragen der Hörer*innen beantwortet werden. Diese Fragen können mal als Kommentar auf Instagram, mal als Sprachnachricht per WhatsApp eingereicht werden. Und jedes dritte »Gästelistchen Geisterbähnchen« ist wiederum eine Spezial-Spezial-Ausgabe: »BIDObähnchen – Bin ich der Otto?«, angelehnt an den Reddit-Thread »Am I the Asshole?«. Hörer*innen können Situationen beschreiben, in denen sie sich fragen, ob sie oder der/die andere der Otto (also der Arsch) ist und bekommen eine professionelle Einschätzung.
Das »Bähnchen« gibt’s übrigens auch auf der Live-Tour. Das war das erste und einzige Mal, dass ich mich getraut habe, auch mal eine Frage zu stellen (ich glaub, es war: Zu welcher Gruppe habt ihr in der Schule gehört? z.B. Skater oder Emo) und sie wurde sogar vorgelesen und beantwortet. (An die Antworten erinnere ich mich aber nicht mehr.) Wo wir schon beim Thema sind: Live-Podcasts sind die neuen Konzerte! (Damit wir auch beim Musik-Vergleich bleiben.) Und sie funktionieren auch ähnlich, denn dort können sich die Fans endlich mal gegenseitig sehen, was wiederum das Community-Gefühl verstärkt.
Und auch von »Gästeliste Geisterbahn« gibt es natürlich Merch: Shirts, Tassen und Beutel. Vor ein paar Jahren gab es sogar ein streng limitiertes Produkt: ein Hörspiel auf Kassette (»Oliver, Olli und Oli und das Geheimnis des Kletterfelsens«), das innerhalb weniger Sekunden ausverkauft war. (Ich glaub, es gab damals nur 100 Stück – und dreimal dürft ihr raten, wer eine davon abgreifen konnte 😁)
Produziert wird »Gästeliste Geisterbahn« von Maria Lorenz-Bokelberg. 2021 hab ich ein Interview mit ihr geführt, in dem wir über Community Building gesprochen haben. Für den Kontext: Ich war damals großer Fan von »WIMAF – Wiedersehen macht Freude«, dem Podcast, den sie mit ihrem Mann Nilz Bokelberg gemacht hat. (Die beiden haben mittlerweile übrigens einen tollen neuen Podcast: »Niemand wird verurteilt«.) Hier ein kleiner Auszug:
Ich: Das ist ja auch eigentlich das Schöne, wenn so ein Podcast noch nicht so groß ist. Ich höre auch zum Beispiel »Fest und Flauschig«, aber ich würde nie auf die Idee kommen, denen zu schreiben. Bei euch schon. Ihr seid viel nahbarer.
Maria: Da gibt es eine Distanz. Je prominenter die Moderator*innen sind, desto weniger sind sie interessiert an so einer Hin-und-Her-Kommunikation. Was natürlich verständlich ist, denn das würde komplett Überhand nehmen. Aber indem wir unserer Hörer*innen zum Beispiel auffordern, uns zu erklären, wie die sich bewegenden Gemälde bei »Harry Potter« funktionieren, bekommen sie natürlich das Gefühl, dass sie ein Teil davon sein sollen – was natürlich stimmt. Wobei die größere Anhängerschaft natürlich deutlich bei »Fest und Flauschig« liegt. Emotionale Bindung heißt also nicht unbedingt mehr Hörer*innen, sondern, dass die kleine Basis, die wir uns geschaffen haben, sehr loyal ist.
Ich hab mich gefragt, ob ihr euch noch an den Punkt erinnern könnt, als so aus den Hörer*innen Fans geworden sind?
Maria: Als es anfing, dass ich Leute in E-Mails wiedererkannt habe. Da habe ich begriffen, dass uns Leute immer wieder hören. Am Anfang dachte ich noch, die meisten schalten wahrscheinlich wegen der Gäst*innen ein. Wir hatten schon Lars Eidinger und so. Aber die Hörer*innen sind dann auch geblieben, als die Gäste ausblieben.
Glaubst du, dass eine Community generell wichtig für einen Podcast ist?
Maria: Wenn es ein Podcast ist, der nur in eine Richtung senden oder informieren will, ist eine aktive Community nicht so wichtig. Aber für »WIMAF« oder »Gästeliste Geisterbahn« ist das sehr wichtig. Wenn wir auf Tour gehen, kommen die Leute, weil sie die Moderator*innen sehen wollen. Wir stellen alle Live-Folgen immer online, hören kann man sie auch ohne Ticket, aber die Fans kaufen trotzdem eins.
Die Message: Eine Community hat nichts mit Reichweite zu tun!
»Hazel Thomas Hörerlebnis« mit Hazel Brugger und Thomas Spitzer
Hazel Brugger und Thomas Spitzer sind für mich ein Parade-Beispiel dafür, wie Podcasts und Crowdfunding zusammenpassen können. Ich war lange zahlendes Mitglied ihres Patreon-Kanals, auf dem es den exklusiven Podcast »Good Vibes Only« gab. Patreon ist eine Social-Payment-Plattform, auf der Kreative ihren Fans anbieten können, sie finanziell zu unterstützen, meist in verschiedenen »Mitgliedschaftsleveln« mit verschiedenen Vorteilen, z.B. exklusiver Content, namentliche Erwähnung im Abspann oder Mitsprache-Recht.
Im Mai 2021 hatte ich ein Interview mit dem damaligen Europa-Chef von Patreon geführt, Ronny Krieger. Darin ging es u.a. um Hazel und Thomas. Auch hier ein kleiner Auszug:
Im Fall von den beiden war es ja sogar so, dass sie ihren Patrons schon lange vor der Öffentlichkeit gesagt haben, dass das Baby da ist. Diese News ist nicht nach außen gedrungen, ist quasi in dieser Community geblieben. Beobachtet ihr das öfter, dass diese Communities so eingeschworen sind und so sehr hinter den Creator*innen stehen?
Ronny: Das ist tatsächlich eine Geschichte, die sich gerade so im letzten Jahr massiv abgezeichnet hat. Dieser enge, intime, geschützte Austausch mit der Community wird unglaublich gewertschätzt von den Kreativen und von den Unterstützern. Über Jahre gab es immer so dieses Bestreben nach hunderttausenden oder Millionen von Likes und immer mehr Reichweite. Als dann die Pandemie eintrat, haben viele gemerkt, dass ein Unterschied besteht zwischen Followern und einer echten Community. Da haben ganz viele angefangen umzudenken und sagen jetzt: Ich mach lieber was für eine Community von 1000, 5000, 20.000 Leuten, als ständig dieses anonyme Ding zu haben. So hast du eine ganz andere Angreifbarkeit. Sie wissen: Was ich sage, ist nicht direkt publik, sondern bleibt in einem Kreis von Leuten, die ihnen wohlgesonnen sind. Das ist viel privater als auf anderen Social-Media-Plattformen.
Die Message: Kleine Communities sind toll!
Hazel und Thomas hatten damals 3.560 Patreon-Mitglieder (auch Patrons genannt), die ihnen knapp 14.200 Euro pro Monat zahlten. Heute sind es »nur noch« 1.071 Mitglieder, davon 612, die bezahlen. Wie viel sie dadurch einnehmen, kann man nicht mehr einsehen. Woran liegt es, dass die Zahl geschrumpft ist, obwohl die beiden wahrscheinlich mehr Fans als je zuvor haben?
Im Februar 2021 ist der Spotify-Podcast »Nur Verheiratet mit Hazel und Thomas« gestartet. Und ich auch muss zugeben, dass ich nach dem Spotify-Deal der beiden dachte: Naja, jetzt gibt es ja einen kostenlosen Podcast mit den beiden – und sie haben bestimmt ordentlich Geld dafür bekommen. Also habe ich mein Abo gekündigt. (Der Vertrag mit Spotify wurde übrigens nicht verlängert, weswegen im Dezember 2022 die letzte Folge »Nur Verheiratet« online ging – und im März 2023 dann »Hazel Thomas Hörerlebnis« an den Start.)
Klar, nur weil die Zahl der zahlenden Fans gesunken ist, heißt das nicht, dass die beiden weniger Fans haben. Wahrscheinlich im Gegenteil. Aber es zeigt, dass mit steigendem Erfolg die Zahlungsbereitschaft sinkt. Man könnte auch sagen: In kleinen Communities ist die Zahlungsbereitschaft höher.
Was ich spannend finde: Ab 4 Euro im Monat kann man beim Patreon-Kanal von Hazel und Thomas an den wöchentlichen Folgenbesprechungen vom »Hazel Thomas Hörerlebnis« teilnehmen. Eine tolle Möglichkeit, Fans einen Anreiz zu bieten, Mitglied zu werden.
tl;dr
Ich weiß, das war eine ziemlich lange Ausgabe, also hier nochmal alles in der Kurzversion (tl;dr = too long; didn’t read):
Ihr müsst im Podcast nicht privat werden, aber persönlich.
Euer Podcast braucht nicht unbedingt einen eigenen Account, aber irgendwie solltet ihr auf Social Media stattfinden.
Es kann helfen, wenn ihr eurer Fanbase einen Namen gebt.
Bindet eure Hörer*innen in den Podcast ein.
Live-Podcasts sind die neuen Konzerte.
Communities haben nichts mit Reichweite zu tun.
Auch kleine Communities können euren Podcast finanzieren.
So, und jetzt fragt ihr euch: Was soll mir der Titel dieser Newsletter-Ausgabe sagen? Was ist denn jetzt ein Podcast ohne Fans? Ich hab ChatGPT nach einer lustigen Antwort gefragt:
Die Antwort ergibt null Sinn, aber ich lieb’s irgendwie. Fällt euch was Besseres ein? Gern einfach an 01573 0664 228 oder pannenservice@beifahrersitz.online ✌🏻
Und sagt gern auch mal, wie euch die erste INSPEKTION gefallen hat!
Wiedergaben der letzten Folge: 88 ⇧ +11
Durchschnittliche Wiedergaben pro Folge: 95 (in den ersten Wochen) ⇧ +19
Gesamtwiedergaben: 6.483 (28 Folgen + Trailer) ⇧ +196
Größe des Publikums in den letzten 7 Tagen: 113 ⇧ +22
Follower*innen auf Spotify: 365 ⇧ +5
Die nächste Inspektion:
Keine Sorge, auf die nächste Inspektion müsst ihr nicht warten, bis ihr zwei Jahre oder 20.000 Kilometer mit eurer Karre runter habt. Meine Werkstatt arbeitet besonders gründlich, deswegen gibt’s die einmal im Monat. Und nächsten Freitag gibt es natürlich wieder eine »normale« Newsletter-Ausgabe!
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