INSPEKTION #2: Was können wir von den Top-Podcasts 2023 lernen?
Willkommen zurück in meiner Werkstatt! Die nächste Inspektion steht an – dafür schauen wir dieses Mal unter die Motorhaube der Podcast-Bestenlisten 2023. Und was finden wir da? Jede Menge True Crime!
Ende des Jahres beginnt die Zeit der Reflexion: Was ist in den vergangenen 12 Monaten passiert? Was war gut? Was war nur so mittel? Was will ich nächstes Jahr anders machen? Ich hab das Jahresziel für meinen Podcast zwar nicht erreicht (10.000 monatliche Hörer*innen 😂 Ich weiß nicht, wieso ich dachte, das sei auch nur annähernd realistisch 😂😂😂 Naja, dream big, fail bigger …)
Ende des Jahres beginnt aber auch die Zeit der Bestenlisten wie die Top-Podcasts des Jahres. Ich dachte mir, ich schau mal, was da so abgeht und was wir Podcaster*innen, die von den Top-Podcasts so weit entfernt sind wie Jeremy Fragrance von einem sauberen Image, davon lernen können.
Top Podcasts 2023 bei Spotify:
Gemischtes Hack
Fest & Flauschig
Hobbylos
Mordlust
Kurt Krömer – Feelings
Zeit Verbrechen
Dick & Doof
Baywatch Berlin
Wissen Weekly
Lanz & Precht
Top Podcasts 2023 bei Apple Podcasts:
Zeit Verbrechen
Lanz & Precht
Kurt Krömer - Feelings
Mordlust
Baywatch Berlin
Verbrechen von nebenan
Mord auf Ex
Apokalypse & Filterkaffee
Lage der Nation
Eine Stunde History
Wenn ich mir die Listen so anschaue, fallen mir drei Dinge auf:
ganz schön langweilig (»Gemischtes Hack« ist zum fünften Mal in Folge auf Platz 1 bei Spotify 🥱)
ganz schön prominent (sehr viele Podcasts sind von Menschen, die schon vorher Promis waren, und der einzige Newcomer-Podcast ist mit Kurt Krömer)
ganz schön viel True Crime (2/10 bei Spotify, 4/10 bei Apple Podcasts)
Letzteres finde ich besonders spannend. Nicht wegen des Genres (Menschen lieben Mord und Totschlag, das sehen wir ja schon seit immer in der TV-Branche) – sondern weil True Crime-Podcasts so krasse Die-Hard-Fans haben (im wahrsten Sinne des Wortes, haha), die sie jedes Jahr wieder auf die vorderen Plätze befördern.
Das erste Mal selbst miterlebt, hab ich das, als wir bei Podstars auf dem OMR Festival 2022 ein True Crime-Panel organisiert haben, auf dem Linn Schütze von »Mord auf Ex« gesprochen hat. Nach dem Panel bildete sich vor der Bühne eine Riesen-Schlange von Fans, die ein Foto mit Linn machen wollten. Die Leute sind ausgeflippt!
Ich frag mich manchmal, warum True Crime-Podcasts überhaupt Communities haben. Versteht mich nicht falsch, Linn und Leo von »Mord auf Ex« sind ganz zauberhaft, da wundert es mich nicht, dass sie so viele Fans haben. Aber wenn man sich es mal genau überlegt, ist man Fan von Menschen, die einem jede Woche erzählen, zu was für schrecklichen Taten Menschen fähig sind. Ist das so, wie wenn man bei einem Date zusammen einen Horrorfilm schaut? Dass man sich verbundener fühlt, weil man zusammen Todesangst erlebt hat oder so?
2022 hat Seven.One Audio eine Podcast-Studie zu True Crime-Podcasts veröffentlicht, die nochmal verdeutlicht, wie krass die Fans drauf sind. 88 % der Befragten hören jede Folge ihres Lieblings-True Crime-Podcasts mindestens einmal pro Woche, 41 % (fast) täglich. Ich erinnere mich an eine Instagram-Story von vor ein paar Wochen, die (glaube ich) Leo von »Mord auf Ex« geteilt hat. Eine Hörerin hatte ihren Spotify Wrapped gepostet: Diese Slide bei der man sieht, wie viele Minuten man den Lieblings-Podcast gehört hat. Und bei ihr waren das so viele Minuten, dass sie jeden Tag mehrere Stunden »Mord auf Ex« gehört haben muss. Ich sag ja: Diese Fans sind krass!
Außerdem hat die Studie ergeben, dass True Crime-Podcast-Fans durchschnittlich drei True Crime-Podcasts regelmäßig hören. Sie sind also generell krasse Fans des Genres.
Schaut man sich mal an, was für Imperien sich um die großen True Crime-Podcasts entwickelt haben: Spin-offs, TV-Adaptionen, Zeitschriften, Bücher, Adventskalender, Merchandising, eigene Produkte, Spiele … True Crime-Fans sind loyal, kaufkräftig – und sie wollen immer mehr! Man hört zwar immer wieder »Braucht die Welt noch einen True Crime-Podcast?!« – aber die Antwort ist: Ja! Wie Ashley Carman in ihrem Newsletter »Soundbite« schreibt, gehören 9 von 10 Podcasts in der Kategorie »Top New Shows« bei Apple Podcasts in den USA in das Genre True Crime. NEUN VON ZEHN!!11! (In Deutschland sind es immerhin 3/10.)
Kleiner Exkurs: 93 % der befragten True Crime-Hörerschaft in der Studie von Seven.One Audio ist weiblich. Ein »Spiegel«-Artikel von 2019 hat mal versucht, das Phänomen zu verstehen. Es gibt zwar so gut wie keine wissenschaftlichen Untersuchungen dazu, aber ein paar von Fakten gestützte Theorien. Eine davon: Frauen haben größere Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden und beschäftigen sich dadurch sowieso ständig mit dem Thema. Eine andere: Frauen ziehen aus True Crime-Geschichten eine Art praktischen Nutzen. Sie wollen Täter besser verstehen, um diese erkennen und sich vor ihnen schützen zu können. Wie ein Selbstverteidigungs-Kurs zum Hören quasi. Das wär ganz schön traurig.
Aber: Auch ein Großteil der Hosts sind Frauen. 8 der 15 zur Zeit der Studie beliebtesten True Crime-Podcasts hatten ausschließlich weibliche Hosts, fünf ein gemischtes Doppel und nur zwei ausschließlich Männer. Eine große Ausnahme in der Podcast-Branche! Auch ganz schön traurig eigentlich.
So, aber was will ich euch damit jetzt sagen? Sollen alle True Crime machen? Natürlich nicht! Aber ich stelle jetzt mal die Theorie auf: Es geht gar nicht um Mord und Totschlag. Was die Leute an True Crime so lieben, sind die spannenden Geschichten. Es gibt verschiedene Verdächtige, Wendungen, aktuelle Entwicklungen … wie in einem guten Krimi eben.
Man könnte jetzt natürlich sagen: Also meint die Alte einfach Storytelling-Podcasts?! Nee! Denn der große Unterschied zu denen ist: Die richtig beliebten True Crime-Podcasts erscheinen so regelmäßig, dass sich eine Bindung zu den Hosts aufbauen kann. Das schafft ein limitierter Doku-Podcast eher selten.
Ich weiß, das lässt sich nicht auf jeden Podcast anwenden. Aber vielleicht bringt es euch ja auf neue Ideen – ohne Mord und Totschlag. Vorgemacht haben es Linn und Leo mit ihrem neuen Podcast »True Love«, in dem sie große Liebesgeschichten mit genauso viel Recherche und Hingabe erzählen, wie sonst ihre True Crime-Fälle. (Nein, ich werde nicht von den beiden dafür bezahlt, dass ich sie so oft erwähne, ich mag sie einfach gern 😅)
Ich will mehr solcher Formate sehen! Ich liebe nämlich die Erzählweise von True Crime-Podcasts – aber mir sind die Fälle manchmal einfach zu krass. Ich möchte gar nicht wissen, wie tief die menschlichen Abgründe sind …
Aber bevor ihr alle weg seid, nochmal was anderes: Kann mir jemand dieses Rätsel beantworten: Seit Monaten (wenn nicht sogar Jahren) ist der Podcast »Was jetzt?« von der Zeit auf Platz 1 in der »ma Podcast« (was das ist, hab ich in der 1. Newsletter-Ausgabe erklärt) – wie kann es sein, dass er nicht in den Top-Podcasts auftaucht? Bin über jeden Hinweis dankbar ✌🏻
tl;dr
Hier nochmal alles in der Kurzversion (tl;dr = too long; didn’t read):
Die Top-Podcasts 2023 bei Spotify und Apple Podcasts sind eigentlich ganz schön langweilig!
Aaaber vom anhaltenden True Crime-Boom können wir etwas lernen: spannende Geschichten + regelmäßige Veröffentlichung = Super-Fans!
Wiedergaben der letzten Folge: 409 ⇧ +339
Gesamtwiedergaben: 6.830 (Spotify for Podcasters) + 725 (Acast) ⇧ +505
Größe des Publikums in den letzten 7 Tagen: 454 ⇧ +360
Follower*innen auf Spotify: 374 ⇧ +3
Vielleicht fällt euch auch auf: Meine Zahlen sind phänomenal im Vergleich zu sonst – und ich hab keine Ahnung, warum. Vielleicht misst Acast Downloads und Hörer*innen anders als Spotify for Podcasters? (Ich hab vor zwei Wochen den Hoster gewechselt.) Ich werde der Sache mal auf den Grund gehen …
Die nächste Inspektion
Keine Sorge, auf die nächste Inspektion müsst ihr nicht warten, bis ihr zwei Jahre oder 20.000 Kilometer mit eurer Karre runter habt. Meine Werkstatt arbeitet besonders gründlich, deswegen gibt’s die einmal im Monat. Und nächsten Freitag gibt es natürlich wieder eine »normale« Newsletter-Ausgabe! (Bis dahin hab ich vielleicht auch das Rätsel mit meinen phänomenalen Podcast-Zahlen geklärt.)
Falls ihr jemanden kennt, der/die das auf keinen Fall verpassen sollte, empfehlt diesen Newsletter doch gerne weiter: