Podcaste, als würde niemand zuhören 💃
Warum es uns so schwer fällt, kreativ zu bleiben. Außerdem: neue Discovery-Features bei Spotify.
Das hier ist BEIFAHRERSITZ, ein Newsletter darüber, wie es wirklich ist, einen eigenen Podcast zu machen. Spoiler: sehr holprig. (Dazu gibt’s Branchen-News, neue Releases und Interviews.) Ihr wollt mitfahren? Dann einfach hier einsteigen:
Wir wissen doch alle: Am besten tanzt man, wenn niemand zusieht.
Und trotzdem tanzen wir so, wie wir glauben tanzen zu müssen, damit uns tausende fremde Menschen zugucken.
Ich meine das natürlich metaphorisch. Ersetzt »tanzen« einfach durch »podcasten«.
Auf den Gedanken bin ich durch einen Newsletter gekommen, den ich letzte Woche gelesen habe. In POMELO teilt Emily Hubbard jede Woche ihre Gedanken über das Leben, über das Erwachsensein, über das Wachsen. (Wer meinen Podcast kennt, weiß: Das ist genau up my alley, haha.)
Letzte Woche schrieb sie darüber, was es mir ihr gemacht hat, als den Newsletter immer mehr Leute gelesen haben. Sie hat sich selbst dabei verloren, als sie versucht hat, möglichst intellektuell zu klingen, möglichst tiefgründige Gedanken zu teilen – so wie all die anderen Autor*innen, die jetzt auch einen Newsletter haben. Sie schreibt:
»The fire in my belly was gone and I kept going thanks to dedication and discipline rather than inspiration. I was angry at having over two thousand subscribers as if they were the issue. I wanted to go back to one hundred and for nobody to read me.«
Sie hat sich gewünscht, von über 2.000 Abonnent*innen zurück auf 100 gehen zu können. Doch dann ist ihr bewusst geworden, dass es gar nicht an der Zahl liegt, sondern daran, dass sie nicht mehr 100 % sie selbst ist. Sie hat nicht mehr über das geschrieben, was sie beschäftigt hat, sondern über das, von dem sie glaubte, dass es die Leute interessiert.
Ich glaube, dasselbe ist mir auch mit meinem Podcast passiert. (Und manchmal hab ich auch Angst, dass es mit diesem Newsletter passiert.) Bei jeder Folge denke ich, ich muss den Horizont meiner Hörer*innen mit super intellektuellen Gedanken erweitern. Dabei schätzen sie mich doch für meine Ehrlichkeit, meine Verletzlichkeit.
Ich hab den Podcast vor zwei Jahren gestartet, weil ich ein kreatives Outlet haben wollte, in dem ich meine Gedanken teilen kann. Stattdessen fühle ich da im Moment nur Druck, abliefern zu müssen.
Und dann hab ich mich gefragt: Warum will ich eigentlich eine möglichst große Reichweite?
Verspreche ich mir davon mehr Freiheit? Aber kann das nicht auch ins Gegenteil umschwenken? Verspreche ich mir davon mehr Sicherheit? Zufriedenheit? Ich weiß doch, dass der Mensch nicht dazu gemacht ist, sich »angekommen« zu fühlen (das ist eigentlich das Hauptthema meines Podcasts). Wir wollen immer mehr, mehr, mehr.
Was würde sich denn wirklich ändern, wenn ich eine große Reichweite hätte? (Abgesehen davon, dass ich vielleicht Host-read Ads verkaufen könnte.)
Wie würde ich meinen Podcast machen, wenn er von tausenden Menschen gehört werden würde? In seiner Essenz, in den Inhalten würde mein Podcast doch gleich bleiben.
Emily Hubbard erinnert mich daran, dass wir alle etwas lesen (oder hören) wollen, das ehrlich ist – nicht perfekt. Zur Verdeutlichung hat sie dieses süße Bild geteilt:

In unserer Kindheit war es uns egal, dass unser Lieblingsradiergummi gar nicht richtig radiert hat. Es hat uns einfach Freude bereitet, es in unserem Etui mit zur Schule zu nehmen, ohne es jemals zu benutzen. (Eigentlich war es eh immer zu schön dafür.)
Vor ein paar Wochen habe ich Marilena Berends vom Podcast »Sinneswandel« kennengelernt – und wir haben sofort gebondet. Denn obwohl sie seit fast acht (!) Jahren podcastet, kennt auch sie Zweifel und unkreative Phasen.
Sie hat in den letzten zwei Monaten eine Podcast-Pause gemacht, weil ihr die Zeit und Motivation gefehlt hat. Gestern kam sie mit einer Folge zurück: »Wozu das alles? Über kreative Krisen und Sinnfragen«.
Sie erzählt, warum es sie so viel Überwindung gekostet hat, wieder mit dem Podcast anzufangen und warum sie ihre Kreativität verloren hatte:
»Ich habe weniger persönliche Gedanken geteilt, mich nicht mehr gefragt: Was bewegt mich eigentlich gerade wirklich? Sondern eher: Was ist relevant? Welche Themen performen? […] Es wurde mehr zur Pflicht als Freude. Mehr Aufgabe als Ausdruck.«
Statt einfach zu machen, wie sie es zu Beginn ihrer Podcast-Karriere getan hat, wurde immer wichtiger, was gut ankommen könnte.
Und dann sagt Marilena etwas, das perfekt zur heutigen Ausgabe passt:
»Im kreativen Ausdruck zeigt sich, was uns bewegt. Und wenn andere sich darin wiederfinden, dann entsteht Resonanz. Nicht, weil es perfekt ist, sondern gerade weil es ehrlich ist. Kreativität ist eben oft nicht das große Werk – es ist oft das Kleine, das Gewöhnliche neu gesehen.«
Kreativität braucht Räume, in denen sie nicht sofort bewertet wird, sagt sie. Kreativität braucht Freiraum. Online ist das kaum noch möglich. Alles wird gemessen, bewertet, geliked, geklickt. Plattformen wie TikTok oder Spotify machen es zwar möglich, kreativ zu sein – aber schwer, es zu bleiben. AMEN! 🙏
Ich frage mich seit Jahren, warum es mir so schwerfällt kreativ zu sein, wenn es doch das ist, was ich schon mein ganzes Leben am liebsten bin. Weil ich mich ständig bewerten lasse. (Und ganz sicher auch, weil ich mir für diesen Newsletter jede Woche meine Podcastzahlen angeschaut hab. Macht das bloß nicht!)
Das heißt jetzt nicht, dass ich ab jetzt in meinem stillen Kämmerlein podcaste und keine Folge mehr veröffentlichen will. Denn der Sinn meines Podcasts ist es, dass ich Menschen weniger allein fühlen.
Aber ich will wieder mehr aus dem Bauch raus machen. Mehr was mir Spaß macht, weniger Trends hinterher rennen.
Passend dazu ist mir ein Zitat wieder eingefallen: »Schreib als würde niemand lesen. Dann lesen alle.«
Ich sage: Podcaste, als würde niemand zuhören. Dann hören alle zu. ✌️
❤️ DANKE an Andreas Sator und Daniela Ullrich, die diesen Newsletter finanziell unterstützen!
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📱 Spotify hat neue Features ausgerollt, um die Podcast-Discovery in der App zu verbessern – vor allem auf dem Homescreen. Außerdem kann man jetzt erwähnte Songs, Bücher und Podcasts direkt unter »In this Episode« verlinken. Und: Die Kommentarfunktionen wurden überarbeitet, es gibt jetzt Threads und Reactions.
💡 Acht Kinder-Podcasts haben sich zusammengeschlossen, um die »Summer Listening Challenge« ins Leben zu rufen, bei der junge Hörer*innen weniger Zeit vor dem Bildschirm verbringen sollen. Sie sollen zwei Folgen aus jedem der Podcasts hören, können ihren Fortschritt mit einem herunterladbaren Tracker verfolgen, und bekommen zum Abschluss eine Urkunde und Videobotschaften der Hosts.
📊 Sounds Profitable hat herausgefunden: Im Gegensatz zu anderen Medien gibt es bei Podcasts keinen Gender Gap bei der Aufmerksamkeit gegenüber Werbung. In allen anderen Medien sind Frauen weniger aufmerksam – Podcasts sind also das beste Medium, um ein weibliches Publikum mit Werbung zu erreichen.
🤔 Rephonic hat Zahlen veröffentlicht, die besagen: Die Top 20 ihrer Podcast-Sponsoren schaltet eher in True Crime-Formaten Werbung. Was mich wundert: In Deutschland herrscht immer noch das Narrativ, True Crime seien schwer vermarktbar.
⏮️ Wer (wie ich) leider auch nicht bei der re:publica war, kann sich ein Recap bei den Kolleg*innen der Podcastwerkstatt in der neuen Folge »Wir hören uns« anhören.
⏮️ Und wer (wie ich) auch nicht bei The Podcast Show in London war, findet bei Amplifi Media ein Recap, dazu gehört auch, dass Podcasts als Shows bzw. Medienunternehmen gedacht werden (müssen). The Podcast Host hat die Meinungen von Podcast-Größen zur Zukunft von Audio-only auf der Konferenz gesammelt.
✨ Netflix hat seinen ersten Original-Podcast veröffentlicht – »The Big Pitch« – in dem Comedians dem Host Jimmy Carr Filmideen pitchen, die in eins der 27.000 (!) Sub-Genres auf Netflix passen. Am Ende entscheidet Carr, wer grünes Licht bekommt.
🍎 Letzte Woche habe ich es nur in einem Nebensatz erwähnt, aber Apple Podcasts hat eine Kooperation mit Canva gestartet, um Podcaster*innen beim Design zu helfen.
📣 Das audience:first AUDIO FICTION LAB 2025 vom BR unterstützt Kreative dabei, fiktionale Audioformate zu entwickeln. Bis zum 30. Juni könnt ihr euch bewerben.
📣 Podimo sucht eine*n Activation Manager*in, eine*n YouTube Specialist und eine*n Social Media Manager*in in Berlin.
Es gibt große Heldentaten – und die kleinen »Heldenmomente«. Über diese Momente spricht Schriftstellerin Nica Stevens mit ihren Gästen.
Der erfolgreiche Podcast »Reisen Reisen« bekommt ein Spin-off: »Bella Italia« ist eine Liebeserklärung an die Sehnsucht nach Italien.
Sebastian Tigges ist solo – jetzt auch im Podcast. In »Männer weinen heimlich« spricht er über die Bedeutung, ein Mann zu sein.
Bettina Böttinger spricht jeden Dienstag mit prominenten Gäst*innen über das, was »Zwischen den Zeilen« steht.
Hanna Huge und Andrea Zuska werfen für DWDL einen analytischen Blick auf die »Industry« hinter den größten Streaminganbietern.
»Die Peter Thiel Story« dreht sich um den Strippenzieher hinter dem kulturellen Rechtsruck in den USA und einem der wichtigsten Unterstützer Donald Trumps.
»Kauf mich!« verrät Sales-Hacks für alle, die im Bereich Verkauf und Sales erfolgreich sein möchten.
Die Trailer der neusten Podcasts als Playlist zum Durchstöbern und Entdecken:
Ihr habt auch einen neuen Podcast? Schreibt an hallo@beifahrersitz.online.
Generell könnt ihr neue und bestehende Podcasts auch kostenlos auf meiner Discovery-Plattform ANSCHNALLEN einreichen:
super toller post, hat sehr räsoniert mit mir! und wie ich arbeiten möchte an meinem podcast
der aber auch ein hobbyprojekt sein wird, und nicht meine erwerbsarbeit. da ist leider das problem, denke ich. wenn man von etwas leben will, muss man oftmals auf zahlen/trends/... achten und ... das kann einen mürbe machen. (sehe ähnliche diskussionen auch immer wieder im buchbereich, wo ich mich viel rumtreibe. was kann ich machen, dass mich kreativ bewegt, aber eben auch essen auf den tisch bringt?)
Puh, da bin ich ja fast froh, dass ich mir bisher keine Gedanken darüber gemacht habe, wer da eigentlich am anderen Ende zuhört.
Dabei haben wir sogar schon das ein oder andere Feedback von Hörer*innen zu unseren Folgen bekommen.