Wie macht man einen preisgekrönten Podcast? 🏆
Der Storytelling-Podcast »Wild & Fremd« hat 2024 den Deutschen Podcast Preis als bester Independent Podcast gewonnen. Ole und Tore Klein im Interview.
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Die Brüder Ole und Tore Klein haben geschafft, wovon viele Podcaster*innen träumen: Sie haben 2024 den Deutschen Podcast Preis als bester Independent Podcast gewonnen – und das vollkommen zurecht! Die beiden verbinden in »Wild & Fremd« die Erzählweise von True Crime-Podcasts mit aufwendigen Geschichts-Recherchen und Hörspiel-Elementen. Wie machen die beiden das alles neben ihrem Studium?
Interview mit Ole und Tore von »Wild & Fremd«
Worum geht es bei eurem Podcast?
Ole: Tore und ich sprechen über historische Expeditionen. Es geht es um Menschen in schwierigen Situationen, in denen manchmal andere Menschen dabei sind oder die Natur die Lage noch komplizierter macht. Dabei kommt immer die Frage auf: Wer sind wir selbst eigentlich? Wie hätten wir in diesen Situationen reagiert? Gerade hat uns ein Bergsteiger im Podcast erzählt, wie er einen Träger in 8000 Metern Höhe gerettet hat. Der war kurz davor zu erfrieren. Als wir die Geschichte ein paar Leuten erzählt haben, war die Rückmeldung immer: »Ist doch klar, hätte doch jeder gerettet!« Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob Tore und ich ihn gerettet hätten – ich glaube, das hätten wir gar nicht geschafft. Das bildet dieses Gesamtkonstrukt von »Wild & Fremd« so gut ab – dass man sich in andere Menschen hineinversetzt.
Tore: Vielleicht ist es so eine admiration, unsere appreciation für die Leute, die diese krassen Sachen gemacht haben und einfach mal zu sagen: »Wir können das so nicht.«
Ole: Ich glaube, das war im Juli 2023, da ist ein Träger am K2 abgestürzt, durch eine Lawine hing er schwer verletzt an einem Seil. Da sind 200 Leute vorbeigegangen – niemand hat ihm geholfen. Wenn das keiner von 200 Leuten macht, wie hoch ist dann die Gefahr, dass den anderen Bergsteiger auch niemand gerettet hätte? Es ist einfach zu sagen »Ich hätte geholfen«, wenn man hier im warmen Zimmer sitzt.
Ich kenne keinen anderen Podcast, der so ist wie euer: Von der Erzählweise wie ein True Crime-Podcast, aber mit Hörspiel-Elementen. Wie seid ihr darauf gekommen?
Tore: Ich glaub, das hat sich langsam entwickelt. Die erste Folge war nicht so hörspielig.
Ole: Wir haben uns in der ersten Folge schon Mühe gegeben, es hörspielig zu machen, aber man wächst ja auch mit jeder Podcast-Folge, die man macht. Wir hatten zwei Möglichkeiten: Entweder wir machen einen sehr guten Podcast, der unglaublich viel Zeit kostet, oder wir reden einfach über Geschichte und bekommen dann wahrscheinlich nicht so viele Aufrufe. Der Rest hat sich ergeben.
Tore: Wir arbeiten sehr eng mit den Tagebucheinträgen, Briefen und Logbüchern der Expeditionen und versuchen daran, die persönliche Geschichte zu erzählen. Und diese Logbücher, Briefe und Tagebucheinträge lassen wir von externen Sprecherinnen und Sprechern vorlesen. Da hat es sich bei uns schon am Anfang angeboten, ein bisschen Sounddesign zu machen. Es wurde dann jede Folge mehr.
Wie lange arbeitet ihr an einer Folge?
Ole: Das Erste, was wir machen, ist Bücher bestellen, dann Recherche betreiben, Notizen machen. Das kostet schon so 10 bis 20 Stunden, wahrscheinlich eher 20. Dann alles auswerten, Sprecher*innen organisieren, alles runterschreiben, mit dem anderen nochmal durchsprechen – der liest die Bücher dann auch nochmal und korrigiert alles.
Tore: So 40, 50 Stunden pro Mann pro Folge, würde ich sagen. Alle zwei Wochen kommt eine neue Folge. Das ist mittlerweile ein Halbtagsjob. Nur für die Folgen, der Rest kommt dann noch dazu.
Ihr habt verschiedene Arten von Folgen: Interviews, Zwischenfolgen, wenn ihr mal was überbrückt, Folgen in denen ihr quatscht oder Spiele spielt … Wie ist es dazu gekommen? Das ist ja relativ ungewöhnlich für einen Podcast, das Format immer wieder zu wechseln.
Tore: Ein Wort: der Algorithmus.
Ole: Wir hatten am Anfang tatsächlich geplant, jede Woche eine große Folge rauszubringen. Das haben wir drei Wochen durchgehalten.
Tore: Das war in den Weihnachtsferien. Da hatten wir sogar noch richtig viel Zeit.
Ole: Selbst da hat es nicht funktioniert. Dann haben wir gesagt: entweder wir machen jetzt zwei Folgen im Monat oder wir machen ein bisschen Arbeit dazwischen. Und die Arbeit dazwischen hat uns Spaß gemacht. Es ist schön, auch mal mit Leuten zu sprechen. Wir haben diese Rettungsaktion, von der wir eben erzählt haben, im Spiegel gelesen. Tore hat den Bergsteiger dann einfach auf Instagram angeschrieben. So kam es zum Interview.
Wie ist das Feedback aus eurer Community? Kommen die Zwischenfolgen genauso gut an wie die Expeditionsfolgen?
Tore: Fast. Wir hätten gedacht, dass es einen riesigen Unterschied gibt. Die Leute, die uns neu entdecken, da merkt man dann schon, dass die erstmal die großen Folgen durchhören. Aber nach ein paar großen Folgen fangen die an, auch die B-Seiten zu hören. In denen sind wir ein bisschen mehr Ole und Tore. Wenn man uns nicht kennt, denkt man vielleicht: Was sind das für zwei Idioten? Aber je länger sie uns kennen, desto mehr Interesse haben sie an uns persönlich.
Eure Dynamik hat mich voll an die Kaulitz-Zwillinge erinnert. Es ist echt ein Unterschied, ob Hosts Geschwister sind oder nicht. Ich habe das Gefühl, Geschwister reden einfach ganz anders miteinander.
Ole: Das ist voll nice, ich kann Tore in der Folge beleidigen und Tore ist nicht pissed danach. Bei einem Freund müsste ich überlegen: Kann ich das jetzt sagen?
Tore: Und wir kennen uns so lange. Ole ist die Person, mit der ich aufgewachsen bin. Du bist mit niemandem – zumindest in deiner Kindheit – so eng wie mit deinen eigenen Geschwistern. Da weiß man irgendwann, wie der andere tickt und kann aufeinander eingehen.
Kurzer Einschub: ICH BRAUCHE EURE HILFE! Seit Monaten überlege ich, was eigentlich mein Business-Modell sein soll. Am liebsten würde ich anderen Podcaster*innen helfen. Deswegen habe ich eine kleine Umfrage erstellt. Es würde mich wahnsinnig freuen, wenn ihr teilnehmt. Dauert nur 5 Minuten. DANKE! ❤️
Wie finanziert ihr euren Podcast? Ich meine, Ihr habt ja schon gesagt, ihr organisiert externe Sprecher*innen, ihr kauft euch Bücher. Ich finde es sowieso krass, dass ihr beide immer alles lest. Die meisten Podcasts, in denen so eine Geschichte erzählt wird, da bereitet meistens eine*r was vor und erzählt es dann der anderen Person. Dass ihr das anders macht, finde ich voll cool. Manchmal hat man so ein bisschen das Gefühl, das ist dann auch so gekünstelt: Ich erzähl dir jetzt mal hier eine Geschichte.
Ole: Erstmal danke für das Kompliment! Ich glaube, bei mir und Tore würde es auffallen, wenn einer weniger Ahnung hat als der andere. Selbst wenn man ein Skript vorschreibt, dann kann man sich vernünftig über das Thema unterhalten, wenn man gar keine Ahnung hat. Mittlerweile klappt das mit der Finanzierung ganz gut. Wir haben einen dauerhaften Werbepartner und wir haben Steady. Darüber können wir zumindest teilweise unseren Podcast finanzieren. Und wir haben eine Förderung bekommen.
Bietet ihr euren Unterstützer*innen bei Steady Zusatzcontent an oder wie macht ihr das?
Ole: Prinzipiell bieten wir alle Folgen erstmal ohne Werbung auf Steady an. Wir haben auch Outtakes da bereitgestellt und veröffentlichen ab und zu Extra-Folgen.
Tore: Zum Beispiel auch die Live-Folge von der Berlin Podcast Week. Die ist exklusiv für Steady-Mitglieder verfügbar.
Ole: Ich weiß gar nicht, ob uns da super viele Leute unterstützen, weil sie sagen, ich mag euren Zusatzcontent so gerne oder weil sie einfach sagen: Ich finde das Projekt an sich einfach super, super geil und ich unterstütze euch gerne.
Die Soundeffekte und Musik haben wir eben schon ein bisschen angerissen. Ihr macht ja viel selbst. Kann man sich das vorstellen wie beim Synchronisieren, diese Foley Art?
Tore: Ja, genau. Aber natürlich können wir nicht jeden Sound selbst nachmachen. Das ist bei uns meistens eine Mischung: Ein paar Sounds machen wir selbst, ein paar kommen aus Soundbibliotheken und wir experimentieren gerade mit künstlicher Intelligenz. Da gibt es Möglichkeiten, sich Sounds zu generieren. Das funktioniert gerade bei so sehr abstrakten Sounds ganz gut, zum Beispiel Schreie von Leuten.
Spannend, könnt ihr da eine Software empfehlen?
Tore: Ja, ElevenLabs ist, glaube ich, die einzige, die das in »sendefähiger« Qualität schafft. Soundeffekte müssen ja nicht ganz so top-notch sein, die sind meistens gelayert. Das ist dann ja nicht nur einer, sondern mehrere. Man muss ein bisschen rumprobieren, bis die Prompts so passen, dass das rauskommt, was man haben will. Leider sind bei der Free-Version die Credits relativ schnell aufgebraucht, weil immer gleich fünf Versionen generiert werden und auch viel Bullshit dabei ist. Aber wir haben neulich einfach unsere gesprochenen Spuren genommen, haben die bei ElevenLabs reingehauen und haben einfach andere Stimmen draufgepackt. Das ist unfassbar. Dadurch, dass jede Nuance, die wir gesprochen haben, von der AI übernommen wurde und in die andere Stimme umgewandelt wurde – also auch ein Glucksen oder ein Einatmen, Husten, Lachen, whatever – hört sich so insane echt an.
Das muss ich auch mal ausprobieren. Macht ihr eure Episoden-Cover auch mit AI?
Ole: Ja, da fehlen uns andere Möglichkeiten. Und jedes Mal ein Bild in Auftrag zu geben, ist leider ein bisschen zu teuer.
Ich finde, zu eurem Thema passt die Optik auch. Bei vielen Bildern, die man mittlerweile so sieht, vor allem bei Menschen und Gesichtern, sieht man’s halt sofort – aber bei bei euren Sachen soll es ja auch spektakulärer als die Wirklichkeit aussehen.
Ole: Ja, Gesichter, Hände, sowas sollte man mit AI auf jeden Fall vermeiden. Am besten Rückenansicht, keine Hände zeigen und dann geht's einigermaßen.
Was kommt als nächstes für »Wild und Fremd«? Was plant ihr in der Zukunft?
Tore: Natürlich ganz viele tolle Folgen. Es geht zum Beispiel auf den Mount Everest. Zwei Miniserien in der Arktis und Schottland stehen an. Und es kommt eine ganz besondere Folge raus, in die Ole ganz viel Herzblut reingesteckt hat. Es geht um ein kleines Mädchen, das sehr unverhofft in krasse Umstände gezogen wird. Das ist ein bisschen außerhalb des normalen »Wild & Fremd«-Kontextes – es wird auf jeden Fall großartig!
Hier geht’s zum Podcast »Wild & Fremd«, zu Steady und zum Instagram-Kanal.
Wiedergaben der letzten Folge: 401 ⇩ -39
Gesamtwiedergaben: 6.863 (alter Hoster) + 41.135 (Acast) ⇧ +691
Größe des Publikums in den letzten 7 Tagen: meine Analytics spinnen 😵💫
Follower*innen auf Spotify: 891 ⇧ +5
Follower*innen auf Apple Podcasts: 200 ⇧ +1
Werbeeinnahmen durch Ads in den letzten 7 Tagen: 4,11 € ⇧ +2,05€
Follower*innen auf Instagram: 278 ⇧ +5
Follower*innen auf TikTok: 32 ⇧ +1
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